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Kreisarchiv
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Mann, dunkle Haare
Dr. Uwe Folwarczny
Leitung Kreisarchiv

Eine Flaschenpost aus dem Jahre 1876

Flaschenpost vor der Entnahme aus dem Steinkreuz;
Foto: Eger Steinrestaurator

Im Jahre 2024 wurde auf dem Bisinger Friedhof eine Flaschenpost aus dem Jahre 1876 gefunden. Die ca. 6 cm kleine Flasche enthielt ein Schreiben, dessen Text uns nun einen außergewöhnlichen Einblick in das Leben vor bald 150 Jahren in Bisingen gibt, insbesondere über den Kulturkampf in den Hohenzollernschen Landen.
Die feierliche Segnung des restaurierten Steinkreuzes fand am 10. Juli 2025 auf dem Friedhof Bisingen statt. Anschließend hielt Dr. Uwe Folwarczny im kleinen Saal der Hohenzollernhalle Bisingen einen Vortrag über den Inhalt des aufgefundenen Schreibens.

Originaltext Vorderseite

Transkribierung Vorderseite


Im Jahre 1876, i[d]. e[st]. Eintausendachthundert-
siebenzig und sechs, in der Kulturkampfzeit
wurde dieses Kreuz von der Pfarrgemein-
de Bisingen errichtet.
Die feierliche Einweihung wurde vor-
genommen am Feste Mariä Himmel-
fahrt[1] bei ungeheurem Zulauf des Vol-
kes durch Pfarrcurat Jos[eph] Speh.
Interimistischer Vogt in der Gemeinde
war zur Zeit Amtsvogt Haug[2] von
Grosselfingen, welcher die Anregung
zur Errichtung dieses steinernen Kreuzes,
einer wahren Zierde unseres Gottesackers,
gab. Zur Zeit zählt die Gemeinde
circa 850 Communicannten, ungefähr 330 Bür-
ger, 1300 Seelen.
            Angefertigt wurde das Kreuz von dem
Steinhauer Fa[bia]n[3] Schwabenthan von Stein-
hofen.
Unter dem Kulturkampf hat die Gemeinde
insofern zu leiden als ihrem Pfarrer J. Speh
ein Ukas[4] vom Präsidium der Königlich Preu-
ßischen Regierung, datiert vom 12. März 1876
zugeschickt und zufälliger Weise im Beichtstuhle
überreicht wurde, folgenden Inhalts:
            „Euer Hochwürden werden von dem Ihnen
übertragenen Amte eines Local-Schul-In-
spectors zu Bisingen und zugleich auch
von den Funktionen eines Religionslehrers

Originaltext Rückseite

Transkribierung Rückseite

an der Volksschule daselbst mit dem Eröffnen
hierdurch entbunden, daß sie danach weder zur
Aufsicht über die Schule noch zur Ertheilung
des Religionsunterrichts, noch auch zur Leitung
desselben ferner zugelassen werden können.
            Das Erzbischöfliche Capitels-Vicariat
zu Freiburg habe ich von dieser Maß-
regel in Kenntniß gesetzt.
            Der Regierungs-Präsident
                        Graaf[5]
 
            Eine Eingabe fast sämmtlicher Bürger an
den Präsidenten um Zurücknahme obigen
Erlasses o[der][6] doch Angabe eines Grundes,
warum so gegen den Pfarrer vorgegangen
werde, war resultatlos.
            In der Schule wird bis heute kein Religions-
unterricht ertheilt, dagegen hat es der
Pfarrer gewagt außerhalb der Schulzeit
denselben in der Kirche zu geben, ohne
bis jetzt gehindert worden zu sein.
            Möglich ist auch das noch.
            Gegeben zu Bisingen am Feste
                        Mariae Himmelfahrt[7]
                                                                       Anno 1876

Erläuterungen

[1] 15. August
[2] Roman Haug, von 1868 bis 1880 Vogt in Grosselfingen. Ab 1880 Rendant des Allgemeinen Kirchenfonds in Sigmaringen, dann Revisor des Erzbischöflichen Ordinariats in Freiburg. Findbuch Grosselfingen, S. XIV.
[3] undeutlich
[4] Anordnung, Anweisung. Der Begriff stammt aus dem russischen: указ (Erlass). Vermutlich als ironische Anspielung auf zaristische/russische/rechtlose Zustände in Preußen.
[5] Zuvor Oberregierungsrat in Bromberg.
[6] undeutlich
[7] 15. August

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